Kopenhagen: Seminarpremiere der dbb jugend hessen gibt ungeahnte Einblicke in die Stadtentwicklung und in die Behördenwelt von morgen.

Die 640.000 Einwohner-Stadt Kopenhagen gilt weltweit als eine Metropole mit der höchsten Lebensqualität und als Experimentierfeld der nachhaltigen Stadtentwicklung. Das lockt nicht nur Delegationen aus aller Welt in die Metropole an den Öresund sondern auch wir von der dbb jugend hessen waren im Rahmen einer Seminarpremiere mit dem

Thema „Kopenhagen – Tradition trifft Zukunftsgeist“

von 26.-30.09.2022 vor Ort, um uns ein eigenes Bild zu machen.

Unter der Leitung des Bildungsreferenten Tilman Wiebe, der dieses Seminar im Vorfeld inhaltlich erarbeitet hatte, besuchten wir als eine sehr bildungshungrige Seminargruppe die dänische Hauptstadt, einige sogar ganz gezielt, da sie alltäglich in ihrer dienstlichen Tätigkeit hauptverantwortlich im Bereich der kommunalen Städte- oder Verkehrswegeplanung und an deren Umsetzung direkt beteiligt sind. Das lässt auch darauf schließen, warum das Seminar in so kurzer Zeit komplett ausgebucht war.

Einige unsere nachhaltigsten Eindrücke haben wir für euch im Folgenden festgehalten:

Hauptstadt der Superlative:

Schon auf der Zugfahrt steigert sich unsere Aufmerksamkeit, da wir hier schon viel im Vorfeld über dieses ganz außergewöhnliche Seminarziel erfahren können. Denn die dänische Hauptstadt steht permanent ganz oben in den Rankings: „lebenswerteste Stadt der Welt“ (Monocle Magazine), „sicherste Stadt weltweit“ (The Economist), „coolste Stadt“ (CNN), Weltmeisterin in Sachen Nachhaltigkeit bzw. Digitalisierung und nicht zu vergessen: Laut „World Happiness Report 2022“ sind die Dänen die zweitglücklichsten Menschen auf der Erde. Nur die Finnen sind glücklicher.

So viele Superlative auf einmal klingen fast unglaublich und wir werden extrem neugierig, was es damit auf sich hat. In Begleitung von mehreren absoluten Expert*innen vor Ort stellen wir eigene Recherchen an und lassen uns alles genau erklären.

Nachhaltig und sicher im Bereich der Verkehrswegeplanung von morgen:

Kopenhagen hat hier in den letzten zehn Jahren eine beispiellose Entwicklung vollzogen und der Erfolg ist unter Planern mittlerweile weltweit bekannt.

Gleich von unserem ersten Guide, der selbst die U-Bahnstationen architektonisch mitentwickelt hat, werden wir zu anfangs besonders auf die weiten, hellen und lichtdurchfluteten U-Bahnstationen aufmerksam gemacht. Je tiefer wir auch kommen, uns begleitet immer das positive Gefühl von Sicherheit, erst recht als wir fast lautlos und absolut stressfrei in einen der modernsten U-Bahnzüge einsteigen. Im gesamten Innenstadtbereich ausgestattet mit großräumigen, fahrradgerechten und führerlosen Wagons, die uns auch in den nächsten Tagen an 24 Stunden im 3-5 Minutentakt von A nach B bringen werden.

Bei der Mobilitätsplanung setzt man ganz bewusst auf das Fahrrad als das umweltfreundlichste Verkehrsmittel. Mit Erfolg, denn über die Hälfte der Einwohner:innen fahren damit. Die breiten, oft mehrspurigen Straßen durch das ganze Stadtgebiet und all die Brücken über die Kanäle, die ausschließlich den Fahrradfahrern vorbehalten sind, verraten, dass hier sehr viel auf die Nutzergruppe ausgerichtet ist. Eine besondere Verkehrsampelschaltung verspricht den Radfahrern bei konstanter Geschwindigkeit von 20 Kilometern pro Stunde freie Fahrt bei dauerhaft grüner Welle.

Auch bei sehr frischen Temperaturen, starkem Wind und ständigem Wetterwechsel (zwischen Regen, Regen und doch mal Sonne), erleben wir, dass alle Fahrradwege zur Rush Hour vollgestopft sind mit Pendlern in Regenanzügen auf Lastenfahrrädern mit Kids oder schicken City-Bikes. Faszinierend, denken wir, aber nichts für Warmduscher, denn viele von uns sind froh, wieder in die trockene Komfortzone zurückzukehren.

Nachhaltig und kreativ im Bereich der städtebaulichen Planung von morgen:

Am nächsten Tag müssen wir aufgrund der sehr wechselhaften Wetterlage auf die Tagesexkursion mit dem Fahrrad verzichten und wir mieten uns kurzfristig einen Bus. Wir sollten nicht enttäuscht werden:

Vollleder Ausstattung, Tische mit Sitzgruppen und eine Club-Ecke… im Stile der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft gelangten wir mit dem ehemaligen und originalen Mannschaftsbus für die damalige Weltmeisterschaft 2018 zu den städtebaulichen Highligts der Hauptstadt. Richtig „hyggelig“.

Das in Kopenhagen Nachhaltigkeit nicht mit Verboten und Verzicht verbunden ist, beweist auch der noch junge, innovative Stadtteil Nordhaven. Das neue Viertel soll Meer und Land, Arbeiten und Wohnen vereinen und zu einer lebenswerten Stadt beitragen. Wir staunen, wie alte Hafengebäude und ehemalige Getreidesilos entkernt und zu bezahlbaren Apartmenthäusern umgebaut wurden. An den Wänden des neu entstandenen Parkhauses befinden sich hängende Gärten, an dessen Seiten verlaufen Treppen, die am Feierabend von Joggern als Fitnessstrecke rege genutzt werden und oben angekommen locken bei bester Aussicht Sport- bzw. Trainingsgeräte und Flächen zur Erholung.

So geht Bauen in Kopenhagen, immer vom Nutzer her gedacht und zusammen mit den Menschen nach deren Bedürfnissen geplant.

Ein weiterer, architektonischer Geniestreich ist „Copenhagen-Hill“. Das Gebäude wirbt nicht nur damit, das sauberste Müllheizkraftwerk der Welt zu sein, sondern auch mit seinem Freizeitsnutzen. Das geneigte Dach der 100 Meter hohen Anlage bietet neben einem tollen Blick auf Kopenhagen auch eine Kunstrasen-Skipiste mit zwei Liftanlagen, die ganzjährig auch rege für eine Schlittenpartie genutzt wird; abends Hüttengaudi an der„Bergstation“ inklusive, und nebenbei werden gleich 160.000 Haushalte mit Strom und Fernwärme versorgt.

„All diese Angebote sind das Ergebnis früherer Überlegungen, wie man notwendige Projekte der Bevölkerung schmackhaft macht“ sagt unser Guide und fügte schon fast poetisch hinzu: “Schönheit im Städtebau ist die Kultivierung der Gemeinschaft. Sie muss dem Anspruch der Öffentlichkeit auf Dauerhaftigkeit, Nützlichkeit und Schönheit gerecht werden, drei Eigenschaften, die sich jeweils gegenseitig ergänzen“.

Endstation sind die futuristischen Portlandtowers, entstanden aus den ehemaligen, umgebauten Zementsilos, in denen seit 2018 auch die Deutsche Botschaft ihre Vertretung hat. Für unseren, schon im Vorfeld organisierten Gesprächstermin werden wir von mehreren Mitarbeiter*innen schon unten im Eingangsbereich sehr herzlich empfangen.

Deutsche Behörden hinken ohne digitale Identität weit hinterher

Nach einem gemeinsamen Mittagessen ganz oben in der höchstgelegensten Kantine von Kopenhagen, folgt ein langes, kurzweiliges und sehr lebendiges Gespräch mit dem Referenten Philipp von der Deutschen Botschaft (Anm.d.Verf.: in Dänemark duzen sich alle). Neben Fragen zur deutsch-dänischen Zusammenarbeit geht es auch um die Migrationspolitik, Steuerhinterziehung und die große Besonderheit, nirgends mehr Bargeld zu gebrauchen. Viele von uns haben in den Tagen nie einen dänischen Geldschein gesehen. Auch als langjähriges Mitglied in der EU, gehört Dänemark nicht zur Eurozone, denn per Volksentscheid wurde damals darüber abgestimmt, dass die Krone oder auch Öre als Zahlungsmittel bestehen bleibt.

Für uns als (zukünftige) Beamte, die wir in den unterschiedlichen kommunalen Bereichen tätig sind, ist auch die digitale Vernetzung der einzelnen Behörden ein besonders aktuelles Thema. Während in Deutschland die Behördendienste noch zu 80 Prozent offline sind, kommuniziert der Staat in Dänemark digital.

Hier ist für die Bürger der Alltag einfacher zu bewältigen, da es mit der persönlichen Vergabe einer CPR-Nummer (Central Person Register) für alle Erledigungen eine digitale Identität gibt. Alle persönlichen Informationen sind unter Einhaltung des Datenschutzes mit dieser Identifikations- und Referenznummer verknüpft und alle Behörden können auf die gespeicherten Informationen zurückgreifen. …Wir geraten ins Schwärmen … was für eine Arbeitserleichterung für uns im Dienstalltag, aber auch was für eine effiziente und bürgerfreundliche Verwaltung für alle beteiligten Personen.

Wir prognostizieren, dass in Deutschland auch nach dem Erlass zur Verbesserung des Onlinezugangs (OZG) noch mehr Geld und noch viel mehr politischer Wille erforderlich sind, um genügend Ausstattung, Personal und Fortbildungen für die Schulungen an den Systemen zu haben. Wir resümieren, dass es Schnittstellen braucht, die auf den unterschiedlichen Ebenen miteinander kommunizieren und das aus Sicht unseres Behördenalltages, politisch der Blick auch von unten erforderlich ist, um besser zu erkennen, wie der Vollzug läuft und wie bzw. wo etwas verbessert werden kann. Abschließend verweisen wir auf die zukunftsweisenden Entwicklungen, wie z.B. die schon vollzogene Digitalisierung im Gesundheitssystem nach dem Coronaausbruch zeigt.

Bei allen Innovationen, die wir bisher kennengelernt haben, fragen wir uns, wo die negativen Seiten liegen. Die wurden natürlich auch angesprochen und ähneln denen z.T. in Deutschland: Zu wenig und zu teurer Wohnraum, Migration, zunehmende Armut in bestimmten gesellschaftlichen Schichten und auch Obdachlosigkeit.

Auffällig sind für uns die sehr hohen Lebenshaltungskosten. Bei Gehältern, die im Durchschnitt weit über dem Doppelten liegen als bei uns, ist das für die meisten Einwohner*innen weniger ein Problem.

 Andere Orte – weitere wichtige Themen:

 Frihedsmuseum und die Rettung der dänischen Juden:

Mit sehr eindringlichen Empfindungen ist unser Besuch im Jahr 2020 neu erbauten Freiheitsmuseum verbunden, das den Untergrundkampf der Dänen gegen die Besatzung des Landes durch die deutschen Nationalsozialisten zum Thema hat.

Aber auch die spontanen Hilfsaktionen der einheimischen Bevölkerung, die zur Rettung von 7.200 der 7.800 dänischen Juden führte, werden uns hier im Rahmen der Führung und in den neuesten multimedialen Präsentationen eindrucksvoll dokumentiert.

Gewarnt von einem engen Mitarbeiter der Besatzungsmacht, versteckt und an die Küste geleitet von Freunden, Bekannten und Fremden, stiegen die Menschen auf Fischerboote um, die sie in einer riskanten Überfahrt über das Meer in das sichere Schweden brachte.

 Christiania: vom besetzten Gebiet zur Aktiengesellschaft:

Ganz im krassen Gegensatz zum Vormittag, stehen unsere Eindrücke beim Rundgang durch den Freistaat Christiania, den es in Europa kein 2. Mal gibt. Auch das ist Bildungsurlaub.

Die ehemals leerstehende, 34 Hektar große Militärbasis im Stadtkern Kopenhagens wurde 1971 besetzt und dient bis heute für über tausend von Bewohnern als alternativer Wohn-, Arbeits-und Lebensraum. Über 40 Jahre vereinbarte die dänische Regierung die Duldung bis 2012 mit der staatlich stipulierten Kaufsumme von zehn Mio. Euro und einer jährlichen Grundstückspacht von 800.000 Euro das „soziale Experiment“ in eine legale Gesellschaftsform überging. Es gibt eine selbstgewählte Regierung, die das Zusammenleben basisdemokratisch regelt, auch mit allen Nachteilen, gerade was die Drogenproblematik betrifft.

Der Freistaat mit Restaurants, Cafés und Kulturbühnen ist heute mit über einer ½ Mio. Gäste im Jahr einer der größten Besuchermagnete in Kopenhagen, direkt nach den Königsschlössern und Museumshäusern, dem Tivoli und natürlich der kleinen Meerjungfrau.

Auch all diese sehen wir natürlich mit allem Glanz, den ein Königreich zu bieten hat in unserer freien Zeit. Bei der weltberühmten Symbolfigur müssen wir schon etwas länger suchen, so unscheinbar, wie sie uns am Uferrand in Erscheinung tritt.

Bei einer abschließenden Kanalfahrt  gleiten wir sanft über das Wasser und durch den vorgenommenen Perspektivwechsel haben wir Gelegenheit, die einmaligen und sehr nachhaltigen Eindrücke und Erlebnisse unserer sehr aufregenden Tage Revue passieren zu lassen.

Ach ja, bleibt nur noch eins zu klären: immer wieder richtig hyggelig:

Die Antwort bekommen wir bei einem Besuche im wohl kleinsten, aber weltweit einzigartigen Museum dieser Art – dem Happiness-Museum.

Für Hygge gibt es kein deutsches Synonym. Es ist das dänische Glückskonzept und Kernbestandteil der dänischen Tradition und Lebensweise. Im Wesentlichen bedeutet es eine angenehme und gemütliche Atmosphäre, in der man das Gute des Lebens zusammen mit lieben Leuten genießt. Es bedeutet auch, sich für etwas Zeit nehmen und die Freude an dem Moment überwiegt.

Auf einer großen Schautafel sind die Ergebnisse einer landesweiten Studie dokumentiert:

Was gehört zum Glückskonzept ?

Als Erstes … warme Getränke, angenehme Atmosphäre, Freunde …

Und ganz unten? … Facebook als Synonym für soziale Medien.

Auf kleinen Post-Its können auch wir uns mit den ganz persönlichen Glücklichmachern verewigen und auf einer der über tausend Botschaften an den Wänden lesen wir die Worte „Seminar Kopenhagen“.

Sicher, eine deutsche Übersetzung für diese Vokabel gibt es nicht … brauchte es auch nicht, denn alle Teilnehmenden waren sich auf der Rückfahrt einig, ganz viel von dem Gefühl erlebt zu haben, sei es bei den interessanten Exkursionen und erst recht in der tollen Gruppe, wo auch der Spaß und das Interesse füreinander nie zu kurz kam. Zu Hause werden wir viel davon erzählen können und auf der Arbeit vielleicht die eine oder andere Idee direkt umsetzen.

All das macht neugierig auf das Seminarangebot der dbb jugend hessen in 2023/2024, wenn es wieder heißt: Bildung nice, aber bitte immer schön hyggelig.

Tilman Wiebe